Verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler mit Fluchterfahrung im Unterricht – Was tun?
Ein Fallbeispiel
An einer Oberschule bittet eine Lehrkraft um Unterstützung der Schulpsychologie, da sie mehrere Schülerinnen und Schüler mit Fluchterfahrung in ihrer Regelklasse unterrichtet, die durch Verhaltensauffälligkeiten zunehmend „den Unterricht sprengen“. Ein Schüler verhält sich aggressiv, eine andere Schülerin ist sehr ängstlich und zurückgezogen, weint häufig und reagiert auch auf Ansprache kaum. Die Lehrkraft fühlt sich mit der Situation überfordert: Zum einen ist sie sich unsicher darin, was den individuellen Umgang mit den verhaltensauffälligen Kindern betrifft. Zum anderen weiß sie auch nicht so recht, was dies mit der Gruppendynamik in ihrer Klasse macht, zumal es wegen der Störungen bereits erste Auseinandersetzungen unter Mitschülerinnen und Mitschülern gab.
Was steckt dahinter?
Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung haben zumeist schreckliche Erlebnisse vor und während der Flucht gemacht. Nun kommen sie in einem fremden Land in die Schule, und können weder die Sprache, noch kennen sie die Kultur, Werte und Normen. In einer solchen Situation sind anfängliche Anpassungsstörungen eine völlig normale Reaktion. Nicht jede Verhaltensauffälligkeit von Schülerinnen und Schülern mit Fluchterfahrung muss dabei auf eine Traumatisierung hinweisen. Zudem treten Trauma bedingte Belastungsfolgestörungen oftmals erst mit größerer zeitlicher Verzögerung auf. Unter förderlichen Bedingungen, in denen die Integration in die neue Gemeinschaft sozial unterstützt wird, gelingt es vielen Betroffenen nach traumatischen Erlebnissen gut, anfängliche Anpassungsstörungen zu überwinden. Durch soziale Unterstützung, die Lehrkräfte, Mitschülerinnen und Mitschüler leisten können, werden in den meisten Fällen bei den Betroffenen Selbstheilungskräfte mobilisiert, die eine sehr positive Wirkung entfalten. Die Schule als Institution kann somit eine sehr wichtige stabilisierende Funktion im Leben von Schülerinnen und Schülern mit Fluchterfahrung einnehmen.
Was ist zu tun?
Damit die soziale Integration dieser Kinder und Jugendlichen im Klassenverband gelingt, brauchen diese vor allem Zeit, um anzukommen, und das Gefühl, willkommen zu sein. Das Erleben, ein wertvolles, gleichwertiges Mitglied der Klassengemeinschaft zu sein, und die Erfahrung, auf wertschätzendes Interesse als Person durch Lehrkräfte und Mitschülerinnen und Mitschüler zu treffen, setzt in vielen Betroffenen Selbstheilungskräfte frei, die es ermöglichen, mit belastenden Situationen umzugehen. Falls sich Anzeichen einer akuten Traumatisierung andeuten, ist die Unterstützung durch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen wichtig. Da Trauma bedingte Belastungsreaktionen individuell stark unterschiedlich sind, ist es für jeden Einzelfall notwendig, eine individuelle Beratung vor Ort durch die Schulpsychologie vorzunehmen. So kann erarbeitet werden, welche Maßnahmen mit den Ressourcen der Schule eingerichtet werden können (z. B. persönliche Bezugspersonen, Rückzugsmöglichkeiten etc.), und welche weiteren externen Hilfen, beispielsweise Therapien, zu vermitteln sind. Lehrkräfte, die sich durch die Arbeit mit Geflüchteten besonders belastet fühlen, können individuelle Unterstützung durch die Schulpsychologie in Anspruch nehmen, etwa in Form von Supervision oder Einzelcoaching. In diesen Fällen können Lehrkräfte direkt die zuständigen schulpsychologischen Dezernentinnen bzw. Dezernenten kontaktieren, um eine Beratungsanfrage zu stellen.