Umgang bei Konflikten von Schülerinnen und Schüler mit ukrainischer und russischer Herkunft
Allgemeiner Grundsatz
Es gibt den sogenannten Beutelsbacher Konsens. Der besagt, dass kontroverse Themen auch kontrovers behandelt werden müssen. Und es gilt das sogenannte Überwältigungsverbot: Die Lehrkraft darf ihre eigene Sicht zwar ausdrücken, aber nicht als allgemeingültig hinstellen. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich selbst anhand von sicheren Quellen ein Urteil bilden. Die jeweilige Lehrkraft muss dafür verschiedene Perspektiven ermöglichen.
Beispiel: Wenn also ein Schüler sagt, die NATO habe mit ihrem Verhalten den russischen Krieg provoziert, kann die Lehrkraft einerseits Fakten dagegenstellen: das Völkerrecht erklären, und dass der Bruch des Völkerrechts klar von Russland ausgeht. Auf dieser Basis kann die Lehrkraft andererseits dann in der Lerngruppe diskutieren lassen, wie es z.B. zur Weltsicht Putins kam; und/oder inwiefern die NATO-Erweiterung zum friedlichen Zusammenleben beiträgt oder nicht.
Konfliktpotential für Schülerinnen und Schüler vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine
In vielen Fällen kommt es vor, dass Schülerinnen und Schüler mit familiären Wurzeln in Russland oder der Ukraine gemeinsam eine Schule besuchen bzw. einer Lerngruppe angehören. Andere haben einen Bezug in die Ukraine oder nach Russland, beispielsweise zu Freunden oder Familienmitgliedern in diesen Staaten.
Dies kann natürlich bedeuten, dass es bei einem Aufeinandertreffen von Angehörigen beider Konfliktparteien in der Schulgemeinschaft zu Kontroversen oder verbalen Auseinandersetzungen kommt.
Für Lehrkräfte gilt es hier zunächst eine gewisse Offenheit für verschiedene Reaktionen und Sichtweisen in Bezug auf den Ukraine-Konflikt zuzulassen, wobei klar sein sollte, dass nicht alle Meinungsäußerungen gleichberechtigt nebeneinanderstehen können. Dies insbesondere, wenn diese den Grund- oder den Menschenrechten entgegenstehen. Unterschiedliche Sichtweisen sollten reflektiert und abgewogen werden, der Befürwortung bspw. von Gewalt und Hass oder auch dem diskriminierenden/herabwürdigenden Sprechen übereinander sollte klar widersprochen werden. Mit der Klasse kann in diesem Zusammenhang bspw. gut thematisiert werden, dass vom Krieg des russischen Staates bzw. von Putins Krieg zu sprechen ist, um deutlich zu machen, dass nicht die russische Bevölkerung der Aggressor ist.
Unter Wahrung des o.g. allgemeinen Grundsatzes ist sicherzustellen, dass Schülerinnen und Schüler antizipieren, dass nicht sie persönlich für die aktuelle Situation verantwortlich sind und sich auch nicht rechtfertigen müssen. Alle Lernenden sind gleichermaßen Betroffene von der Situation – wenngleich in unterschiedlicher Weise. Für alle Personen ist dies ganz besonders schwierig und belastend. Diese Herangehensweise stellt sicher, dass den Schülerinnen und Schülern geholfen wird, die Situation des jeweils anderen anzunehmen und neu einzuordnen.
Ausgrenzung verhindern
Unterschiedliche Sichtweisen bedingen, dass in Schule ein Klima vorhanden sein soll, in dem unterschiedliche Meinungen gleichwertig Platz finden. Es ist von allen Seiten ein respektvoller Umgang mit den verschiedenen Meinungen einzufordern. Handlungsleitend ist dabei immer das Leitbild der Schule. Der Wertekanon: wir gehen respektvoll und freundlich miteinander um hat dabei zentrale Bedeutung und muss wirksam werden. Selbst bei hitzigen Diskussionen und Erörterungen sollte am Ende immer der Wert stehen: Wir stehen für Frieden!
Als Lehrkraft gilt es daher die betroffenen Kinder und Jugendlichen im Diskurs zu begleiten.
Der Aufbau von einer defensiven Abwehrhaltung bei Schülerinnen und Schülern soll verhindert werden, damit die Folgen der Konflikteskalation wie z.B. Ausgrenzung oder Bullying nicht zum Tragen kommen.
Eine Verlagerung der in Schule vorhandenen Konflikte in den privaten Bereich erscheint risikobehaftet. Es könnte zur Folge haben, dass man sich außerhalb der Schule zu Auseinandersetzungen verabredet. Diese Entwicklung gilt es frühzeitig zu erkennen und ihr wirkungsvoll deeskalierend zu begegnen.
Umgang mit Unterstützerinnen und Unterstützern des russischen Präsidenten
Im Schulalltag werden sicher einzelne Schülerinnen und Schüler die aktuelle Situation in der Ukraine akzeptieren, befürworten oder auch verharmlosen.
Diese Haltungen sollten sachlich, unaufgeregt analysiert und besprochen werden. Die Zuziehung von verifizierten Fakten als auch die geltenden Rechtsordnungen können hierbei hilfreich sein. Ein konfrontatives und sanktionierendes Vorgehen gegen diese Behauptungen verstärkt und verfestigt hier nur die zuvor eingenommenen Positionen, genauso wie bei Corona-Leugnerinnen und -Leugnern, Verschwörungsgläubigen, Rechtsextremistinnen/Rechtsextremisten, Salafistinnen/Salafisten etc. Lehrkräfte könnten hier mit Schülerinnen und Schülern gemeinsam verschiedene Nachrichtenquellen recherchieren und gegenüberstellen und die jeweilige Glaubwürdigkeit diskutieren. Hier kann altersgerechtes medienpädagogisches Vorgehen sehr gut Wirksamkeit entfalten. Auch die Themen Meinungs- und Pressefreiheit in Demokratien vs. autoritären Regimes können hier gut einbezogen werden. Für Lehrkräfte gilt auch bei solchen Situationen das Gebot des Überwältigungsverbotes.
Gesprächskultur in Schule
Schülerinnen und Schüler sollten erleben, dass sie in offenen Gesprächsrunden über ihre verschiedenen Bedürfnisse und auch über Emotionen wie Wut, Angst und Betroffenheit reden können. Dabei wird auch gegensätzlichen Sichtweisen Raum gegeben, die auch im Kontrast zueinander stehen bleiben dürfen, ohne gewertet zu werden. So kann ein positiver, respektvoller Diskurs zum konstruktiven Umgang mit verschiedenen Meinungen als auch bei offen werdenden Konflikten entstehen
Positionierung zum Krieg durch die Schulleitung
Eine klare Positionierung zum Krieg durch Schulleitung und durch die Lehrkräfte in den Lerngruppen ist wichtig und gibt Sicherheit und Orientierung in der gesamten Schulgemeinschaft. Hierbei sind die Werte des Leitbildes der Schule einzuhalten.
Die Schulgemeinschaft steht für Frieden und achtsames Miteinander, d.h. Schule ist der Ort, an dem verschiedenen Meinungen in sicherer Umgebung nebeneinanderstehen können.
Es ist erlaubt und hilfreich, die eigene Betroffenheit zu äußern. Befürchtungen, dass eine Betroffenheitsäußerung als Landesbedienstete gegen das politische Neutralitätsgebot verstoßen könnte, sind unbegründet. Sich deutlich gegen Krieg zu positionieren ist ebenfalls kein Verstoß gegen das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsens.
Vereinzelt ist es bereits vorgekommen, dass aufgebrachte Eltern mit russischen Wurzeln sich massiv beschwert haben über die Thematisierung des Krieges in der Schule. Auch von einzelnen Einschüchterungsversuchen wird berichtet.
Hier ist es wichtig, dass die Schulleitung sich nach außen und innen deutlich positioniert, dass der Bildungsauftrag § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes konsequent umgesetzt wird und dass die Schulleitung keine Einflussnahme in die hoheitlichen Aufgaben von außen zulässt.